Zweifel gab es nicht, Rückschläge waren nicht vorgesehen. In den 70er und 80er Jahren verkündete Radio Tirana in 22 Sprachen, dass »die marxistisch-leninistische Weltbewegung wächst und erstarkt«. So lautete der Titel einer Sendereihe, die über Jahrzehnte Woche für Woche ausgestrahlt wurde. Gefeiert wurden die Erfolge ruhmreicher Bruderparteien, bis Ende der 70er Jahre vor allem die der KP Chinas und ihr folgenden maoistischen Parteien und Gruppen. Als Feinde hingegen galten – noch vor Kapitalisten und Militaristen aus dem Westen – die »Revisionisten«. Da wurde die SED der DDR als »sozialfaschistische bürgerliche Partei« attackiert, in der DKP hatten demnach »unverbesserliche Opportunisten, Antimarxisten und Todfeinde des Kommunismus« das Sagen. Das von Enver Hoxha geführte Albanien war dagegen das »Leuchtfeuer des Sozialismus in Europa«.
Regelmäßige deutschsprachige Programme aus der Sozialistischen Volksrepublik Albanien gab es seit 1964. Vier Jahre später konnten mit chinesischer Unterstützung starke Kurz- und Mittelwellensender installiert werden. Im Gegenzug durfte Radio Peking über die Anlagen seine eigene Sendungen ausstrahlen – bis dies 1978 als Folge des Bruchs zwischen Albanien und China eingestellt wurde. Die Rote Fahne, Organ der 1968 in der BRD gegründeten »Kommunistischen Partei Deutschlands/Marxisten-Leninisten« (KPD/ML) – die den Zeitungstitel von der KPD Liebknechts und Luxemburgs abgekupfert hatte – empfahl damals die Sendungen aus China nicht mehr, sondern legte den Lesern nur noch nahe, Radio Tirana zu hören.
Der Sender war auf Kurz- und Mittelwelle in ganz Europa gut zu empfangen – und leicht zu erkennen, schon weil jede der halbstündigen Sendungen mit der »Internationale« endete. Zudem konnte in den 70er Jahren bei der KPD/ML eine eigene Zeitschrift abonniert werden, in der alle 14 Tage die Texte ausgewählter Sendungen abgedruckt wurden.
Der Zusammenbruch der sozialistischen Staaten Osteuropas schien an Albanien und Radio Tirana zunächst spurlos vorbeizugehen. Der sowjetische Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow wurde ebenso attackiert wie seine Vorgänger – während man Ende der 80er Jahre zugleich die Fühler nach Westen ausstreckte. Trotzdem kam der Umbruch 1991 so unerwartet, dass ihn sich etwa die bis zuletzt treu der Linie der albanischen Genossen folgende KP Neuseelands nur als »trotzkistischen Putsch« erklären konnte – und diese Erkenntnis in einem 400 Seiten starken Wälzer verarbeitete, der 2004 auch ins Deutsche übersetzt wurde.
Für die Hörer von Radio Tirana bedeutete das Ende einen Kulturschock. Die »Internationale« verschwand, ebenso die meisten der 22 Sprachdienste. Dafür waren auf den Frequenzen plötzlich religiöse Predigten zu vernehmen, weil man freigewordene Sendezeit an Missionswerke verkaufte. Heute verbreitet man noch Sendungen in sieben Sprachen für eine kleine, tapfere Schar von Hörern. Der wichtigste Verbreitungsweg ist der Stream auf der eigenen Homepage, außerdem ist das deutsche Programm von Montag bis Sonnabend ab 19.30 Uhr auf Kurzwelle 3.985 Kilohertz zu hören.
[tds_info]Homepage: rti.rtsh.al – Radio Tirana-Hörerklub: rthk.agdx.de – Deutschsprachige Sendungen zum Download: www.wwdxc.de/tirana/[/tds_info]
Erschienen am 21. November 2019 in der Tageszeitung junge Welt