Die Maritime Wirtschaft rutscht in die Krise, doch Politik und Unternehmen wollen nicht umsteuern
Als im Frühjahr 2021 die „MV EverGiven“ im Suezkanal strandete und die wichtige Wasserstraße für Tage blockierte, waren die Folgen noch Monate später für die Konsumentinnen und Konsumenten auch in Deutschland zu spüren. Der Vorfall zeigte einmal mehr, dass die Maritime Wirtschaft ein entscheidender Teil der Lieferketten ist. Doch wenn nicht gerade ein Autotransporter brennt, machen sich nur wenige Gedanken darüber, was eigentlich auf hoher See passiert, was auf dem Weg von der Ernte oder Herstellung bis zu den Geschäften unterwegs vor sich geht. Diejenigen, die Waren, Güter, Menschen und Tiere über die Ozeane bringen, werden kaum wahrgenommen. Selten hört man etwas über die Arbeits- und Lebensbedingungen an Bord. Und auch, was in den Häfen passiert, wird vielleicht noch in den Hafenstädten selbst diskutiert, in den überregionalen Medien und in der Bundespolitik spielt es kaum eine Rolle.
Spätestens seit der Pandemie sollte jedoch klar sein, dass es sich auch bei den Häfen um kritische Infrastruktur handelt, die schützenswert ist und deshalb unbedingt in die öffentliche Hand gehört. Mit dem Ausverkauf der HHLA tut sich die Stadt Hamburg deshalb keinen Gefallen, weil sie damit auch einen Teil der Steuerungs- und Kontrollmöglichkeiten aufgibt. Durch die technologische und ökologische Transformation und den demografischen Wandel wird sich in den Häfen einiges ändern. Es gilt, gute und gesunde Arbeitsbedingungen sowie Löhne zu sichern.
Die Hafenunternehmen versuchen bereits, die Hafenarbeiter*innen zu spalten: Was einst als Hafenumschlag galt, wird aufgesplittet und als Hafenlogistik deklariert. Aber auch Hafenlogistik ist Hafenarbeit und gehört dementsprechend entlohnt. Schließlich ist auch sie ein wichtiger Teil in der Lieferkette.
Es ist fatal, dass die Situation auf See und im Hafen nicht mehr in das öffentliche Bewusstsein rückt. Ökonomische Krisen schlagen auch auf die Maritime Wirtschaft durch. Wird weniger konsumiert, wird weniger transportiert – und wird weniger verdient. Das passiert immer wieder, doch offenbar werden die Unternehmen davon jedes Mal von neuem überrascht. Und prompt will man die Beschäftigten zur Kasse bitten. Sie sollen weniger oder zu mindest nicht mehr verdienen, sie sollen länger arbeiten, sie sollen auf Errungenschaften verzichten. Und das alles, damit irgendwelche Shareholder ordentliche Dividenden kassieren können.
Wer so agiert, schadet sich selbst und der Maritimen Wirtschaft insgesamt. Schon jetzt klagen alle maritimen Branchen über Nachwuchsmangel – doch der ist oft genug hausgemacht. Die Zahl deutscher Seeleute ist auf insgesamt deutlich unter 5000 gesunken, eine Trendwende ist nicht absehbar. Ihren Teil dazu beigetragen haben die Reedereien, die ihre Flotten ausflaggen und sich der Aufgabe entziehen, neue Kolleginnen und Kollegen auszubilden. Auf diese Weise geht aber unersetzbares Know how verloren, und auch Behörden und öffentliche Institutionen müssen sich fragen, wo sie künftig ihre gut ausgebildeten Fachleute herbekommen wollen.
In den Häfen schrecken Meldungen über unsichere Jobperspektiven als Folge von Umsatzeinbußen oder auch der technischen Entwicklung Interessierte ab – es gibt derzeit genügend Alternativen, wo sich gutes Geld verdienen lässt.
Ein Umdenken scheint es bei Politik und Unternehmen bisher nicht zu geben. Wer mit provokatorischen „Angeboten“ in Tarifverhandlungen geht, hat die Zeichen der Zeit nicht verstanden. Wer zentrale Infrastruktur verscherbelt, verspielt die Zukunft. Sichere Ausbildungs- und Arbeitsplätze, gute Arbeitsbedingungen, an ständige Einkommen – wer die Maritime Wirtschaft in unserem Land sichern will, muss umsteuern.
Verfasst gemeinsam mit Maren Ulbrich. Erschienen im Dezember 2023 in der Waterfront Nr. 2/2023