Hand aufs Herz: Woran denken Sie, wenn von Spanien gesprochen wird? An Flamenco, Paella, Stierkampf und glutäugige Carmens? Nun, dann könnten Sie enttäuscht werden, falls Sie vorhaben, in diesem Jahr zu den Olympischen Sommerspielen nach Barcelona zu reisen. Barcelona ist die Hauptstadt Kataloniens. Und Kataionien, das ist vieles, aber nicht Spanien. Passen Sie auf, wenn Sie in Barcelona oder anderswo in dieser Region erzählen, wie toll sie es finden, »hier in Spanien«. Es gibt nicht wenige Menschen in Katalonien, und vor allem in Barcelona, die darauf bestehen, keine Spanier zu sein – sondern eben Katalanen.
Sie sprechen eine eigene Sprache, Català, das kein Dialekt des Spanischen ist. Vielmehr ist das Català mit dem Italienischen verwandt. Die Straßenschilder sind in Català. Hinweise in der Metro zweisprachig. Immer wird neben der spanischen Fahne auch die katalanische gezeigt. Ausnahmen hiervon bilden nur Dienststellen von Polizei und Militär, sowie Zentren faschistischer Parteien. Hier ist immer nur das königlichspanische Banner zu sehen. Dafür lassen viele andere Menschen das Rot-Gelb-Rot einfach weg und zeigen nur die gelbe Fahne mit den vier roten Streifen.
Geschichte Kataloniens
Katalonien hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Immer wieder versuchten Könige und Diktatoren, den Katalanen ihre Kultur zu rauben, immer wieder wurde die katalanische Sprache verboten. Und immer wehrten sich die Menschen gegen die Unterdrückung, immer überlebten die Bräuche des Volkes. Das Català wurde weiter in der Familie und unter Freunden gesprochen, das Tanzen des Nationaltanzes, der »Sardana«, wurde zur Demonstration für die Forderung nach Autonomie. Jede und jeder in Katalonien kennt das Lied der SchnitterInnen, »Els Segadors«, die katalanische Hymne aus dem Unabhängigkeitskampf im vergangenen Jahrhundert. Aber es ist nicht selten, daß die offizielle Hymne der spanischen Monarchie unbekannt ist.
Seit der Demokratisierung Spaniens nach dem Tod des Diktators Franco hat sich die katalanische Tradition und Kultur ihre Bahn gebrochen. Nach der Aufhebung des Verbotes wurde die katalanische Sprache Amtssprache in Katalonien – noch vor dem Spanischen. Es gibt eine Unabhängigkeitsbewegung, deren Einfluß wächst.
Als der Chef der Generalitat de Catalunya, der katalanischen Regierung, Jordi Pujol, die Tschechoslowakei besuchte, mußte der spanische Botschafter in Prag vergeblich nach der spanischen Fahne suchen. Gehißt wurde nur das katalanische Banner, gespielt nur die katalanische Hymne.
Seit 1916 in Spanien die ersten Rundfunk-Versuchssendungen ausgestrahlt wurden, spielten das Radio und – später – das Fernsehen immer eine wichtige Rolle im politischen Alltag des Landes und für den Umgang der Zentralmacht mit den verschiedenen Völkern in seinem Staatsgebiet, in Euskadi (Baskenland), Galizien und Katalonien.
Radio Barcelona – erster Sender Spaniens
Nachdem am 24. Juni 1924 eine Verordnung die Bedingungen für die Erteilung einer Rundfunk-Sendelizenz festlegte, konnten Sendegenehmigungen vergeben werden. Die erste Lizenz wurde mit dem Rufzeichen EAJ-1 an eine Gruppe katalanischer Industrieller vergeben. Am 14. Juli 1924 nahm Radio Barcelona seinen Betrieb auf. Damit ist dieser Sender heute die älteste Rundfunkstation in Spanien. Die privaten Rundfunksender Spaniens, neben denen der staatliche Rundfunk existierte, vereinigten sich zur Senderkette »Unión Radio«, die sich nach dem Ende des Bürgerkrieges in »Sociedad Española de Radiodifusión« (SER) umbenannte.
Während des spanischen Bürgerkrieges wurden die Rundfunksender zu Waffen in den Händen der Kriegsgegner. In Barcelona sendete Radio Barcelona als Stimme der Republikaner. Auch in den Sendungen von Radio Barcelona spiegelten sich die wechselnden Machtverhältnisse in der katalanischen Hauptstadt wieder. Hatten zunächst die Anarchisten der CNT und der FAI den maßgeblichen Einfluß auf das Geschehen in Katalonien, so übernahm später immer stärker die Kommunistische Partei (PSUC) die Regierungsgewalt, was auch zu blutigen Zusammenstößen zwischen den verschiedenen Richtungen des republikanischen Lagers führte.
Radio Barcelona sendete über Kurzwelle auch deutschsprachige Rundfunksendungen. Diese sollten sich zum einen an die deutschen Kämpfer in den Internationalen Brigaden wenden, zum anderen sollten die Menschen in Hitler-Deutschland erreicht werden. Die von den deutschen Störsendern angegriffenen Sendungen wurden in der Verantwortung der Parteien produziert. Die an der Linie der Kommunistischen Internationale orientierte PSUC sendete täglich zwischen einer Viertel- und einer halben Stunde, die trotzkistische POUM hatte eine Sendezeit von dreimal wöchentlich 15 Minuten, die später auf tägliche Sendungen ausgedehnt wurde.
Freiheitssender 29,8
Erheblich bekannter als die deutschen Sendungen von Radio Barcelona wurden in Deutschland aber die in Madrid, Valencia und Barcelona produzierten und ausgestrahlten Sendungen des »Deutschen Freiheitssenders 29,8«. Diese zunächst als Stimme der KPD, später als Sender der antifaschistischen Volksfront arbeitende Station sendete von Januar 1937 bis März 1939. Sie versuchte bei den Hörern den Eindruck zu erwecken, sie stände innerhalb Deutschlands. Da der Freiheitssender allgemein gut unterrichtet war, glaubten viele Hörer auch daran. Und nicht nur sie: Die Nazi-Behörden veranstalteten zum Teil groteske Suchaktionen nach dem Sender, der mal auf Rheinschiffen, mal auf einem Lastkraftwagen vermutet wurde. Erst mit Hilfe italienischer Peilspezialisten konnten die Nazis den wahren Standort des Senders ausfindig machen.
Ein weiterer Kurzwellensender, der aus Barcelona in deutscher Sprache sendete, war der Sender der Generalitat Barcelona, der vom Herbst 1936 an bis zum Ende des Krieges arbeitete.
Rundfunk der Faschisten
Am 19. Januar 1937 befahl Franco in Salamanca die Errichtung eines offiziellen faschistischen Staatsrundfunks. Das war der Ursprung des heutigen staatlichen »Radio Nacional de España« (RNE). Vom Ende des Krieges an bis 1977 besaß RNE das Monopol für die Ausstrahlung von Nachrichten. Alle anderen Rundfunksender mußten auf eigene Kosten die Nachrichten des Staatssenders übernehmen und durften keine eigenen Nachrichten ausstrahlen. Jede Information, ob lokal oder regional, unterlag der Vorzensur. Ohne den Segen der Faschisten konnte nichts über den Äther gehen.
In den Jahren nach dem Ende des spanischen Krieges war Franco-Spanien der internationalen Opposition gegen sein System ausgesetzt. Diese wurde aber während des Kalten Krieges untergraben, als die USA Militärstützpunkte in Spanien errichteten und andere Länder, darunter auch die Bundesrepublik Deutschland, Wirtschaftsbeziehungen mit dem faschistischen Staat aufnahmen. Spanien war zunächst von den internationalen Wellenkonferenzen in Montreaux und Kopenhagen und damit von der Frequenzvergabe ausgeschlossen. Die spanischen Faschisten reagierten darauf mit der Errichtung neuer Senderketten auf Frequenzen, die außerhalb jeder internationaler Übereinkunft lagen. Es entstand die Senderkette der Staatspartei Falange, »Red de Emisoras del Movimiento« (REM), und der Sender der faschistischen Jugend, »Cadena Azúl«. Deren Sender benutzten neben Mittelwellenfrequenzen auch solche, die dem Amateur-, dem Seefunk oder ähnlichen Diensten vorbehalten waren. So sendeten »La Voz de Valladolid« (REM) auf 7005 kHz und »La Voz de León« (REM) auf 6933 kHz. Darüber hinaus betrieb die franquistische Einheitsgewerkschaft die »Cadenas de Emisoras Sindicales« (CES). Die mächtige Kirche hatte ebenfalls ihr Rundfunknetz. In vielen kleinen Ortschaften arbeiteten Pfarrsender mit sehr geringer Leistung, die später in die noch heute bestehenden Kette »Cadena de Ondas Populares Españolas. (COPE) aufgingen, die mit der spanischen Kirchenführung verknüpft war.
Lockerung der Zensur
1964 wurde das Verbot, andere Nachrichten als die der RNE auszustrahlen, etwas gelockert. Regionale und lokale Nachrichten durften jetzt von den einzelnen Sendern selbst produziert werden. Internationale Meldungen und politisch wichtige Nachrichten aber blieben RNE vorbehalten. Bis Mitte 1977 blieb die Übernahmepflicht der RNE-Nachrichten bestehen.
Nach dem Tode Francos und der Wiedereinrichtung der Monarchie in Spanien setzte die Demokratisierung des Landes ein. Eine grundlegende Demokratisierung des staatlichen Rundfunks RNE fand aber nicht statt. Zwar wurde mit RTVE eine Körperschaft geschaffen, die den Anstalten des öffentlichen Rechts nicht unähnlich ist, jedoch einen Verwaltungsrat besitzt, der ausschließlich aus den im Parlament vertretenen Parteien zusammengesetzt ist. und zwar proportional zum Anteil der Parlamentssitze.
Der Generaldirektor von RTVE wird auf Vorschlag der Regierung vom Parlament ernannt. Damit schuf sich die Regierung ein regierungstreues Sprachrohr. Das änderte sich weder unter der konservativen UCD-, noch unter der sozialistischen PSOE-Regierung. Die Hörer quittierten das mit einem massiven Abwandern zu den privaten Sendern. Zwischen 1982 und 1986 verlor RNE etwa 70 Prozent seiner Hörer.
Nach der Wiederherstellung der Rechte der Völker Spaniens, die vielen Menschen noch immer nicht weit genug gehen, konnten die Provinzregierungen eigene Sender aufbauen. Das taten vorrangig die autonomen Regionen Galizien. Euskadi und Katalonien. Heute betreibt die Generalitat de Catalunva zwei Rundfunksender: Cataluya Ràdio und Ràdio Associació de Catalunya (RAC). Darüber hinaus gibt es zahlreiche weitere private Sender, die in katalanischer Sprache senden, darunter Radio Barcelona, das zur Senderkette SER gehört, mit seinem Mittelwellenprogramm. Zahlreiche weitere kommerzielle Sender strahlen ihr Programm in spanischer Sprache aus. Die erfolgreichsten sind hier das UKW-Programm von Radio Barcelona, »40 Principales«, mit seinem Hitparadenprogramm, und der Sender »Onda Cero Radio«. RNE strahlt heute fünf Programme aus darunter auch in katalanischer Sprache.
Freie Radios
Freie Radios werden in Spanien geduldet und finden ihre Hörer. In Barcelona arbeiten zwei solcher alternativer Stationen: Radio PICA setzt seinen Programmschwerpunkt auf die Musik. Dabei laufen sowohl Produktionen unabhängiger Gruppen und nicht-kommerzielle Musikstile wie Punk, Reagge, Ska, Rap u.a. über den Sender, wie auch klassische Musik – »zur Entspannung am Mittag«. Dabei ist Radio PICA aber in der Alternativ-Szene der Stadt verankert und genießt einen hohen Bekanntheitsgrad. Das Programm, das 24 Stunden täglich über den Sender läuft, wird nur einige Stunden am Tag live produziert, die restlichen Sendungen sind Wiederholungen.
Noch weniger bekannt als Radio PICA ist das jüngere »Contrabanda FM«. Dieser freie Sender legt seinen Schwerpunkt auf die Information. Die Sendungen, die sowohl in Català als auch in Spanisch sind, berichten sowohl aus der Stadt als auch aus der »großen weiten Welt«. Regelmäßig im Programm sind Sendungen mit Berichten aus Palästina, Kuba und anderen Landern. Eine weitere Sendung, die mit Plakaten in Info-Läden beworben wurde, ist »Al enemigo ni agúa« (Kein Wasser für den Feind), eine Sendung »gegen alle Aggressionen von Rassisten. Faschisten und Polizisten«. Diese Sendung, die jeden Mittwochabend ausgestrahlt wird, enthält Nachrichten über den Neofaschismus und Rassismus in ganz Europa und die Aktivitäten dagegen, Termine und viel Musik.
Die Radiolandschaft Kataloniens erschlägt den unbedarften Radiohörer genauso wie die unbedarfte Radiohörerin. Aber interessant ist ein Wellenbummel allemal.
Erschienen in der Zeitschrift »Radio Hören«, Mai 1992