Serie: Klassenkampf im Äther – 100 Jahre Rundfunk in Deutschland. Teil 2: Die Weimarer Republik
Ein Jahr nach dem Sturz der Monarchie und der Ausrufung der Republik war der revolutionäre Aufbruch des November 1919, als Soldatenräte die Kontrolle über die Funkstationen übernommen hatten, abgewürgt. Der Staat in Gestalt der Reichspost war wieder Herrscher über die Sendeanlagen, die vom Soldatenrat in Königs Wusterhausen gebildete »Zentrale Funkleitung« war zwischen den Ministerien und Interessenverbänden zerrieben worden.
Die Erfahrung des »Funkerspuks«, wie die bürgerliche Presse die Monate der Doppelherrschaft über das neue Medium bald nannte, bestimmten in den folgenden Jahren und Jahrzehnten den von Misstrauen geprägten Umgang von Regierung und Behörden mit allem, was mit der drahtlosen Kommunikation zu tun hatte. Bis 1923 wurde den Bürgerinnen und Bürgern der Empfang von Funksendungen generell untersagt. Selbst Nachrichtenagenturen durften nur unter großen Restriktionen für sie relevante Meldungen aufnehmen. Zwar nutzten einige von ihnen im Testbetrieb die drahtlosen Dienste der Reichspost zur Verbreitung ihrer Nachrichten, doch selbst in den Redaktionsräumen der Tageszeitungen durften keine Empfangsgeräte aufgestellt werden. Das Reichspostministerium machte gegenüber entsprechenden Anträgen »schwerste Bedenken« geltend, »zumal keinerlei Gewähr dafür geschaffen werden kann, dass den Zeitungen nur bestimmtes Nachrichtenmaterial zugeführt wird und nicht auch andere Nachrichten durchsickern«.¹ In den Redaktionen sorgte das für Unmut, denn in anderen europäischen Staaten wurden zu dieser Zeit bereits »an alle« adressierte sogenannte »CQ-Sendungen« verbreitet. Ein Schlupfloch war nur das Hollandsch Nieuws-Bureau, eine Nachrichtenagentur aus den Niederlanden, die in Berlin eine Niederlassung unterhielt.² Sogar noch kurz vor der offiziellen Freigabe des Funkempfangs und dem Beginn regelmäßiger Rundfunksendungen 1923 gab es in ganz Deutschland nur rund 1.300 genehmigte Empfangsstellen.³
Schwarzhörer
Die Zahl der »Schwarzhörer«, die sich nicht um behördliche Verbote scherten, dürfte bereits zu dieser Zeit beträchtlich gewesen sein. Vor allem ehemalige Militärfunker, die ihre Kenntnisse einsetzen konnten, sowie talentierte Bastler verfolgten mit selbstgebauten Empfangsgeräten die Entwicklungen im Äther. Einer von ihnen war der damals noch keine 20 Jahre alte Manfred von Ardenne, der später eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung des Fernsehens spielen sollte. Als Kind hatte er 1917 in einer Wetterstation in Münster am Stein die vom Eiffelturm in Paris aus gefunkten Morsezeichen hören dürfen. »Der kinderliebe Wetterwart konnte damals nicht ahnen, welch ein zukunftsträchtiges Samenkorn er mit seinem Handeln in das so aufnahmebereite Gehirn eines zehnjährigen Kindes senkte«, schrieb von Ardenne in seiner Autobiographie.⁴ 1921 kaufte sich der von den Naturwissenschaften faszinierte Jugendliche in einem Elektrogeschäft in Berlin billige Bauteile aus Heeresbeständen zusammen und bastelte daraus seinen ersten Detektorempfänger, dem viele weitere und immer leistungsfähigere folgten.
Auch an anderen Stellen scherte man sich kaum um die Verbote der Obrigkeit. Als die Oberpostdirektion Berlin im Dezember 1921 Hausdurchsuchungen bei einer Reihe von Verdächtigen veranlasste, denen der Betrieb »geheimer Funkanlagen« unterstellt wurde, entdeckten die Polizisten in den Gebäuden großer Berliner Verlage insgesamt zwölf Radiogeräte, allein fünf davon beim Dammert-Verlag. Auf eine Beschlagnahmung verzichteten die Beamten. Da es sich bei den »Schwarzhörern« um »angesehene Presseunternehmen« handelte, nahm man lieber »Rücksicht auf die (…) möglichen politischen Weiterungen«, die das Einziehen der Geräte und etwaige Strafverfolgung hätte haben können.⁵ Soviel Toleranz konnten jedoch nur bürgerliche Medienkonzerne erwarten, gegen linke oder gar revolutionäre Bestrebungen wurde die ganze Macht des Staates eingesetzt, besonders wenn es nicht nur um das Empfangen, sondern um das Senden ging.
In Deutschland wurde der Besitz von Radiogeräten im Privatbesitz erst im Herbst 1923 freigegeben. Ausschlaggebend dafür war letztlich die Einsicht, auch durch Verfolgungsmaßnahmen den Funkempfang nicht verhindern zu können. Statt dessen sollte, wie Hans Bredow in seinen Memoiren einräumt, durch die Verbreitung von Nachrichten und Unterhaltungsprogrammen dafür gesorgt werden, »dass die Hörer kein Interesse mehr an dem Abhören des öffentlichen und militärischen Funkverkehrs«⁶ hätten. Konsequent umgesetzt wurde dieser Ansatz zunächst jedoch nicht. Vielmehr waren die Voraussetzungen für den Erwerb einer Empfangsgenehmigung so kompliziert und teuer, dass sich nur wenige Hörer um eine Legalisierung kümmerten. Am 1. Dezember 1923 waren erst 467 gebührenzahlende Hörer registriert, und ihre Zahl stieg nur langsam. Noch am 5. März 1924, mehr als vier Monate nach Aufnahme des regulären Rundfunkprogramms, beklagte das Leipziger Tageblatt, dass in Berlin »derzeit etwas über 500 Teilnehmer des Rundfunks bei der Post angemeldet« seien, die Zahl der sogenannten Schwarzhörer jedoch »um ein Vielfaches größer« sein dürfte. »Diese ›Schwarzhörer‹ sind, selbst wenn man von dem entgangenen Gewinn für die Reichskasse absieht, eine öffentliche Gefahr, vor allem deshalb, weil sie vielfach, um nicht zu sagen meist, über Apparate verfügen, die von der Reichstelegraphenverwaltung nicht zugelassen sind und auch nicht zugelassen werden können, weil sie den Bedingungen für einen geordneten Rundfunkbetrieb nicht entsprechen.«
Zwischen den Zeilen wird deutlich: Es ging weniger um den Verlust von Einnahmen, sondern um die Angst, dass Nutzer die Geräte mit wenigen Handgriffen zu Sendern umbauen und eigene Programme verbreiten könnten. Tatsächlich wird die Zahl nicht genehmigter Sender Mitte der 1920er Jahre auf bis zu 2.000 geschätzt, wobei die meisten von Funkamateuren betrieben wurden, die keine politischen Absichten verfolgten und deshalb auch weitgehend in Ruhe gelassen wurden.
Größeren Einfluss übten die ab 1923 entstandenen »Funkvereine« aus, die zu Jahresbeginn 1924 bereits etwa 15.000 Mitglieder zählten – während nur einige hundert Menschen offiziell registrierte »Rundfunkteilnehmer« waren. Diese durchweg bürgerlichen Klubs schlossen sich zum »Deutschen Funkkartell« zusammen und waren gerngesehene Gäste von Staatssekretär Hans Bredow, der sie als Regulativ gegen radikale Bestrebungen, aber auch als Lobbyisten für den noch immer misstrauisch beäugten Rundfunk schätzte. Mit der ersten vorsichtigen Liberalisierung der Regeln zum Rundfunkempfang ab Mai 1924 wurden die Verbände sogar zu Torwächtern, an denen kein Hörer vorbeikam, der eine Genehmigung erwerben wollte. Die neuen Vorschriften sahen nämlich vor, dass nun auch selbstgebaute Empfänger benutzt werden durften, sofern die Hörerinnen und Hörer eine »Audion-Versuchserlaubnis« erwarben. Notwendig dafür war neben der Entrichtung einer Gebühr der Nachweis technischer Kenntnisse. Die Prüfungen durften nur vom Reichspostministerium anerkannte Vereine abnehmen, in deren Vorständen Beamte der Behörde vertreten sein mussten.
Arbeiterradiobewegung
Aus dem exklusiven Kreis dieser Verbände ausgeschlossen blieben von Anfang an die Arbeiterradioklubs (ARK), die ab 1923 zunächst in Berlin und dann in weiteren Großstädten wie Leipzig, Chemnitz und Hamburg entstanden waren. Das »Funkkartell« verweigerte ihnen die Aufnahme, weil sie sich als Zusammenschlüsse der am Rundfunk interessierten werktätigen Bevölkerung definierten und damit eine »Standesorganisation« seien. Die Reichspost wiederum lehnte die ARK aufgrund ihrer politischen Ausrichtung ab. Von Anfang an musste sich die Arbeiterradiobewegung zudem mit Schikanen, Verfolgungen und Publikationsverboten auseinandersetzen. Als etwa der Berliner Arbeiterradioklub im April 1924 offiziell als eingetragener Verein gegründet wurde, war das für das preußische Innenministerium Grund genug, Ermittlungen gegen die Gründer Ewald Blau, Erich Heintze und Heinrich Farwig aufzunehmen, zumal diese der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) angehörten.
Ebenso wie die Mitglieder der bürgerlichen Funkvereine interessierten sich auch die der Arbeiterradioklubs zunächst vor allem für die technische Seite des neuen Mediums. Zudem ging es ihnen darum, selbst Empfangsgeräte bauen zu können, denn der Kauf fertiger Radios war für die wenigsten erschwinglich. Der Zwang, die selbstgebauten Geräte genehmigen zu lassen, und die Weigerung des »Funkkartells« und der Post, den Arbeiterklubs das Privileg der Prüfungsabnahme zu gewähren, zwang die ARK halb in die Illegalität. Dadurch sei aber »die bürgerliche Gegnerschaft klargestellt und die Notwendigkeit einer völlig selbständigen Arbeiterradiobewegung immer deutlicher erkennbar« geworden, hieß es rückblickend in einer 1926 veröffentlichten Analyse. »Von nun ab kam Kampfstimmung in die Arbeiterradiobewegung. Überall begannen die Gruppen um ihre Unabhängigkeit zu kämpfen.«⁷ Als im Herbst 1925 der Zwang zur Genehmigung von Radiogeräten aufgehoben wurde, verbuchten die Arbeiterradioklubs dies als ersten politischen Erfolg für sich. Die Zahl der Mitglieder im ARK wuchs von zunächst etwa 3.000 bei der Gründungsversammlung in Berlin bald auf mehrere zehntausend an.
Die Arbeiterradiobewegung kritisierte von Anfang an die von den Rundfunksendern gebotenen Inhalte. Auch fortschrittliche Künstler und Intellektuelle äußerten sich zur Entwicklung des Rundfunks. So wies etwa Kurt Tucholsky unter seinem Pseudonym Ignaz Wrobel 1926 in der Weltbühne die Illusion vom »unpolitischen Rundfunk« zurück: »Nun gibt es selbstverständlich nichts Unpolitisches, und man kann darauf schwören, hinter diesem Getue allemal einen Hugenberg-Redakteur, einen mittleren Bürger, einen Patrioten zu finden, der entweder schwindelt oder dem seine Lebensauffassung so zur Natur geworden ist, dass er gar nicht begreift, wie grade sie einen Streitpunkt abgeben kann. So ist’s auch mit dem Rundfunk.«
Bei Bertolt Brecht wurde die Faszination von den neuen Möglichkeiten schnell von der Verwunderung darüber abgelöst, wie von ihnen Gebrauch gemacht wurde. »Die Resultate des Radios sind beschämend«, schrieb er 1927 in einem Aufsatz, der zunächst unveröffentlicht blieb. Künftige Generationen würden staunen, »wie hier eine Kaste dadurch, dass sie es ermöglichte, das, was sie zu sagen hatte, dem ganzen Erdball zu sagen, es zugleich dem Erdball ermöglichte, zu sehen, dass sie nichts zu sagen hatte«. Brecht forderte, aus dem Rundfunk »eine wirklich demokratische Sache zu machen«.
Die Realität in Deutschland sah anders aus. Der Rundfunk behauptete von sich zwar, »unpolitisch« und »überparteilich« zu sein, tatsächlich jedoch übte der Staat die entscheidende Kontrolle aus. 1924 hatte sich die Reichsregierung den direkten Zugriff auf die »Drahtloser Dienst AG« (Dradag) gesichert, die als einzige Gesellschaft berechtigt war, die Rundfunksender mit politischen Nachrichten zu beliefern. Die Redakteure wurden vom Reichsinnenministerium ernannt, an der Überwachung der Tätigkeit waren auch die Presseabteilung der Reichsregierung und das Reichspostministerium beteiligt.
Schon zuvor war die KPD aus dem Programm ausgeschlossen worden. Während im Vorfeld der Reichstagswahl im März 1924 das Zentrum, die Deutschnationalen, die Deutsche Volkspartei, die Deutsche Demokratische Partei und die SPD täglich über je eine Viertelstunde Sendezeit verfügen konnten, um ihre Programme vorzustellen, wurde dies den Kommunisten verweigert. Das wiederholte sich bei der Präsidentenwahl 1925. Während der von SPD und DDP unterstützte Zentrumspolitiker Wilhelm Marx sowie der ehemalige Reichsfeldmarschall Paul von Hindenburg als Kandidat der deutschnationalen Rechten im Rundfunk sprechen durften, bekam der von der KPD nominierte Ernst Thälmann wegen dessen »Republikfeindlichkeit« keinen Zugang zu den Mikrofonen. Der kommunistische Abgeordnete Ernst Torgler kommentierte das am 29. April 1925 im Reichstag: »Es ist sehr bezeichnend, dass man in der Frage der Kandidatenreden Herrn Marx selbstverständlich Reden durch den Rundfunk gestattet und dass man auch von Herrn Hindenburg selbstverständlich annimmt, dass er auf dem Boden dieser Verfassung steht, trotzdem doch jedes Kind in Deutschland weiß, dass er ein überzeugter Monarchist ist, dass man es aber dem Kommunisten Thälmann natürlich verweigert.« Nötig sei, den Arbeiterradiovereinen das Betreiben eigener Sender zu erlauben.
Einseitige Einrichtung
Auf seiner zweiten Reichskonferenz am 6. und 7. März 1926 erhob auch der Arbeiterradioklub die Forderung nach einem eigenen Sender. »Unser Ziel muss sein, eigene Arbeitersendegesellschaften zu schaffen«, hieß es dazu etwa im Nachrichtenblatt der Kölner ARK-Bezirksgruppe, denn, so die Begründung, »durch den Rundfunk, der in alle Städte, Dörfer, Häuser, Familien eindringt, bekommt die besitzende Klasse ein neues Mittel in die Hand, euch, eure Frauen und Kinder, kurz die breitesten Schichten der arbeitenden Bevölkerung einseitig in ihrem Sinne zu beeinflussen und zu erziehen …«⁸
Selbst Rundfunkkommissar Bredow schrieb 1926 in einem Brief an den ARK, den die Verbandszeitschrift Der neue Rundfunk abdruckte: »Jedenfalls können Sie sicher darauf rechnen, dass der Arbeiterradioklub einen oder mehrere Sender bekommt. Die Bedingungen werden jetzt ausgearbeitet.«⁹ Daran erinnerte Torgler den Staatssekretär, als am 25. März 1926 im Reichstag über den Etat des Postministeriums diskutiert wurde. Es sei ein berechtigter Wunsch, »dass der Zusage, die der Herr Staatssekretär Dr. Bredow gemacht hat, auch recht bald die Tat folgen möge«, entweder besondere Sender für die Arbeiter einzurichten oder aber die bestehenden Sender zu verpflichten, den Arbeitern »teilweise, vielleicht getrennt nach Tagen«, Sendezeit zur Verfügung zu stellen. Der Rundfunk, »wie er heute seine Programme auswählt«, sei »eine einseitige Einrichtung für das Bürgertum«.¹⁰
Unmittelbar zuvor hatte Reichspostminister Karl Stingl allerdings erklärt, dass man die geforderte Einrichtung »besonderer Arbeiterrundfunksender zur Verbreitung einer bestimmten Weltanschauung (…) grundsätzlich ablehnen« müsse, weil es notwendig sei, dass die Post als »Anstalt des öffentlichen Vertrauens« von politischen Einflüssen »losgelöst« bleibe.¹¹ Bredow verfolgte die Debatte von der Regierungsbank aus, ohne sich zu äußern. Tatsächlich hatte er in seinem Brief offenbar keinen Rundfunksender gemeint, sondern eine Kurzwellenversuchsstation, wie ihn auch die bürgerlichen Vereine und Amateurfunker anstrebten. Allerdings blieb sein Schreiben so oder so ein leeres Versprechen, denn der Arbeiterradioklub und seine Nachfolgeverbände erhielten nie einen eigenen Sender. Noch 1929 erklärte Stingls Nachfolger Georg Schätzel, der wie ersterer der Bayerischen Volkspartei angehörte, dass die Verhandlungen mit dem Reichsinnenministerium über eine Freigabe der Kurzwellensender »leider« noch nicht abgeschlossen seien.
Die parteiübergreifende Arbeiterradiobewegung war zu diesem Zeitpunkt allerdings bereits zerbrochen, und ein zentraler Grund dafür war gerade die Forderung nach einem eigenen Sender. Der ab 1928 als Reichsinnenminister amtierende Sozialdemokrat Carl Severing hatte zwar nichts dagegen einzuwenden, wenn seine Genossen oder auch bürgerliche Kräfte als Amateurfunker den Umgang mit der neuen Technik ausprobierten, aber den Kommunisten und anderen linken Kräften wollte er den Zugang versperren, weil diese eine Gefahr für die innere Ordnung seien.
Severings Ausweg war die Spaltung des Arbeiterradiobundes (ARB), wie sich die ARK seit 1928 nannten. Sein Plan war, Sendelizenzen nur an Funkervereinigungen auszugeben, deren politische Loyalität gegenüber der Reichsregierung klar sei. Bei der dritten Reichskonferenz der Arbeiterradioklubs im März 1927 war es dem sozialdemokratischen Flügel gelungen, mit einer knappen Mehrheit die Führung im Vorstand zu übernehmen und den bisherigen kommunistischen Vereinsvorsitzenden Wilhelm Hoffmann durch das SPD-Mitglied Curt Baake zu ersetzen. Baake war bis zu diesem Zeitpunkt nicht einmal Mitglied der ARK gewesen und musste erst in den Verband aufgenommen werden. Er erwies sich aber als treuer Gefolgsmann der sozialdemokratischen Rundfunkpolitik.
SPD gegen KPD
Anfang 1928 benannten sich die ARK in »Arbeiterradiobund Deutschlands« (ARBD oder ARB) um. Das sollte deutlich machen, dass man inzwischen den Status einzelner »Klubs« verlassen und eine stabile Organisation aufgebaut hatte. Viele Mitglieder des ARB begrüßten, dass die SPD nach der Reichstagswahl im Mai 1928 in einer Koalition mit liberalen und konservativen Parteien zurück in die Regierungsverantwortung kam. Unter dem sozialdemokratischen Reichsinnenminister Severing, der auch für den Rundfunk und dessen Zensurinstanzen zuständig war, müssten doch Reformen der bisherigen Strukturen möglich sein. Nur wenige Wochen nach dem Amtsantritt des neuen Kabinetts, im August 1928, legte der Vorstand des ARBD einen Programmentwurf vor, in dem sich diese Illusion widerspiegelte: »Entscheidend für den Einfluss der Arbeiterklasse auf die Sender ist ihre politische Macht. Ist diese Macht stark genug, so vermag sie auch den bestehenden Rundfunk in seiner Gesamtheit so zu ändern, dass in allen Rundfunkstellen, einschließlich der Sendeleitungen, die Vertreter der Arbeiterschaft die gebührende Einwirkung ausüben.«¹²
Das stieß prompt auf Widerspruch des linken Flügels. Eine Mitgliederversammlung des Berliner Ortsvereins, der fünf Jahre zuvor die Keimzelle der Arbeiterradiobewegung in Deutschland gewesen war, wies den Entwurf des Vorstandes zurück: »Die Versammlung lehnt die Auffassung ab, wonach durch persönliche Beeinflussung und Verhandlungen mit einzelnen amtlichen Stellen und Ministerialräten das Rundfunkprogramm geändert werden kann. Nur die einheitliche Kampffront aller Arbeiterhörer unter Führung des ARB wird in der Lage sein, Schritt für Schritt die Forderungen der Arbeiterklasse zu verwirklichen.«¹³
Die Spaltung des Arbeiterradiobundes verfestigte sich bei der vierten Reichskonferenz des ARBD, die im September 1928 parallel zur Funkausstellung in Berlin stattfand. Der linke Flügel ging aus ihr geschlagen hervor, der neue Vorstand war nun nahezu komplett in der Hand der Sozialdemokraten. Überschattet wurden die innerverbandlichen Auseinandersetzungen durch eine Aktion der Kommunisten. Am 6. Oktober 1928 sollte Wolfgang Schwarz, Redakteur des SPD-Organs Vorwärts, im Rundfunk über »Probleme der Friedenssicherung« referieren. Abgeholt wurde er mit einem Auto, auf dem die Worte »Gästewagen der Funkstunde AG« geschrieben waren. Am Steuer saßen jedoch Mitglieder der KPD, die mit dem Journalisten Berlin verließen und ihn nach Groß-Ziethen in Brandenburg brachten, wo sie ihn unverletzt freiließen. An seiner Stelle erschien im Studio Karl Schulz, der für die KPD im Preußischen Landtag saß und die damals gerade laufende Kampagne gegen den Panzerkreuzerbau koordinierte. Live auf Sendung erklärte er: »Das Volksbegehren, der Volksentscheid ist eine Sammlung der Massen gegen den Imperialismus und seine Kriegspläne. Der Vorwärts-Redakteur Herr W. Schwarz sollte heute an dieser Stelle sprechen. Die KPD hat seine Rede jedoch abgesetzt, weil es wichtiger ist, die Arbeitenden Deutschlands über das Volksbegehren zu informieren.«¹⁴ Die SPD schäumte vor Wut.
Zum offenen Bruch führte schließlich die Auseinandersetzung um die Zeitschrift der Berliner Ortsgruppe des ARB. Die hatte lange ein einfaches Mitteilungsblatt unter dem Titel Der aktive Radiogenosse herausgegeben. 1929 benannten die Berliner das Blatt in Unser Sender um, füllten es mit mehr Inhalt und begannen, es weit über Berlin hinaus zu verbreiten. Der Vorstand des ARB verlangte von der Berliner Gruppe, die Zeitschrift wieder einzustellen, da sie dem Verbandsorgan Arbeiterfunk Konkurrenz mache und Anzeigenkunden abwerbe. Als das von den Berlinern zurückgewiesen wurde, beschloss der ARB-Vorstand Anfang Mai 1929, ein Ausschlussverfahren gegen alle 20 Mitglieder des Berliner Gruppenvorstandes einzuleiten. Dieses führte dann schließlich einen Monat später zum Ausschluss von 18 Mitgliedern. Zudem ließ der Vorstand der Gruppe gerichtlich untersagen, sich weiterhin »Bezirk Berlin des ARB« zu nennen.
Die Kommunisten entschieden daraufhin, sich als eigenständige Organisation unter dem Namen »Freier Radiobund Deutschlands« (FRBD) zu konstituieren. In einer am 11. September 1929 in Berlin veröffentlichten Erklärung rief man »alle klassenbewussten Freunde der Arbeiterradiobewegung auf, mit in unseren Reihen gegen Saboteure des proletarischen Kampfes um den Rundfunk aktiv mitzuarbeiten. Die Schaffung des FRB ist die logische Folge der frivolen Spaltung der sozialdemokratischen Organisationszerstörer.«¹⁵ Die Losung des Freien Radio-Bundes war: »Vergiss es keinen Tag, Prolet, dass hinter deinem Funkgerät, ob Spiel, ob Ernst, von früh bis spät der Gegner deiner Klasse steht.«
Roter Sender an rotes Berlin
1932 eröffnete sich für den linken Flügel der Arbeiterradiobewegung eine Alternative, denn Radio Moskau nahm deutschsprachige Sendungen auf. Der sowjetische Rundfunk hatte für viele Aktivisten von ARB und FRB einen Vorbildcharakter, denn zunächst hatte das neue Medium im revolutionären Russland mit neuen Formen und Inhalten experimentiert und den einfachen Menschen des Landes eine Stimme gegeben. In der Wahrnehmung des Freien Radiobundes nahm der Moskauer Gewerkschaftssender, wie das sowjetische Programm in deutscher Sprache bis weit in die 1930er Jahre hinein meist genannt wurde, zusehends die Rolle ein, die man sich von einem eigenen Arbeitersender versprochen hatte. Mit Wandparolen wurde aufgerufen: »Hört Moskau!«, der FRBD veröffentlichte in seiner Zeitschrift die Programmpläne von Radio Moskau und gab Broschüren mit Anleitungen heraus, wie man auch einfache Empfangsgeräte so verbessern konnte, dass Moskau zu kriegen war. Schließlich wurden sogar Sendungen des sowjetischen Rundfunks bei Kundgebungen über Lautsprecherwagen des FRBD verbreitet.
Was für die einen die Hoffnung war, nun doch im fortschrittlichen Sinne auf die Arbeiterinnen und Arbeiter in Deutschland einwirken zu können, sorgte bei den anderen für Unruhe. Die Reichsregierung befasste sich wiederholt mit der Frage der deutschsprachigen Sendungen aus Moskau und versuchte auf diplomatischem Wege (erfolglos), die »Einmischung in die inneren Angelegenheiten« zu beenden. Zeitweilig wurden Störsender auf die Frequenzen des Moskauer Senders gelegt, doch als die Sowjetunion ihrerseits begann, den Deutschlandsender zu überlagern, beendete man dieses Experiment. Statt dessen versuchte man, über spezielle Sendungen im deutschen Rundfunk die sowjetische Propaganda zu entkräften.
Die Aktivisten des Freien Radiobundes beließen es aber nicht dabei, auf den sowjetischen Rundfunk auszuweichen. Immer wieder kam es auch zu Protestaktionen gegen die als zynisch empfundenen Programme der deutschen Sender. Diese referierten zum Beispiel über »Karpfen und Gans, ein edler Wettstreit«, während Millionen Menschen arbeitslos waren und hungerten. Als in Berlin aus dem Café Wien Tanzmusik übertragen wurde, unterbrachen vier Erwerbslose die Sendung mit Rufen »Gegen die Reichen! Für die Armen!«
Schließlich griff man zur Selbsthilfe und baute sich selbst den Sender, den die Arbeiterbewegung so lange gefordert hatte. Im Dezember 1932 meldete sich abends mehrfach der »Rote Sender an das Rote Berlin«: »Die Knebelung unserer Presse, Außerbetriebsetzung unserer Rotationsmaschinen, die Verbote unserer Versammlungen haben uns gezwungen, uns auf diesem Wege Gehör zu verschaffen. Keine Knebelung der Presse, kein Redeverbot, keine Rundfunksperre können uns abhalten, regelmäßig zu gegebenen Zeiten unsere Meinung in die Lautsprecher der werktätigen Hörer zu funken.«¹⁶
Anmerkungen
1 Winfried B. Lerg: Die Entstehung des Rundfunks in Deutschland. Frankfurt am Main 1965, S. 105
2 Ebd., S. 104
3 Hans Bredow: Im Banne der Ätherwellen, Bd. 2. Stuttgart 1956, S. 189
4 Manfred von Ardenne: Ein glückliches Leben für Technik und Forschung. Frankfurt am Main 1976, S. 40
5 Lerg, a. a. O., S. 156
6 Bredow, a. a. O., S. 202
7 Zit. nach: Klaus-Michael Klingsporn: Die Einführung des Rundfunks in Deutschland und die Reaktion der organisierten Arbeiterradiobewegung auf das neue Medium. Berlin (West) 1988, S. 47
8 Nachrichtenblatt ARK Bezirksgruppe Köln am Rhein, ohne Datum; zit. nach: Horst Hanzl: Der Rundfunk der Weimarer Republik als Klasseninstrument der Bourgeoisie und der Kampf der Arbeiterklasse um das Mitbestimmungsrecht. Leipzig 1961, S. 70 f.
9 Der neue Rundfunk, Jg. 1, Nr. 3, 18.4.1926; zit. nach: Peter Dahl: Arbeitersender und Volksempfänger. Frankfurt am Main 1978, S. 44
10 Verhandlungen des Reichstages, Bd. 389 (1924). Berlin 1926, S. 6688
11 Verhandlungen des Reichstages, Bd. 389 (1924). Berlin 1926, S. 6665
12 Zit. nach: Klingsporn, a. a. O., S. 91
13 Zit. nach: Ebd., S. 96
14 Peter Dahl, a. a. O., S. 57
15 Zit. nach: Hanzl, a. a. O., S. 81
16 Peter Dahl, a. a. O., S. 80
Erschienen am 1. Februar 2023 in der Tageszeitung junge Welt