Am 29. November 1956, wenige Wochen nach der Niederschlagung des antikommunistischen Aufstands in Ungarn, erschien in der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit ein wütender Angriff auf die FDP. Diese habe »den Bolschewisten willkommene Unterstützung für ihre stereotype Behauptung (geliefert), westliche Agenten hätten das ungarische Volk aufgehetzt«. Was den namentlich nicht genannten Verfasser so in Rage versetzt hatte, war ein Artikel im damaligen Parteiblatt der Liberalen, Das Freie Wort. In diesem war Kritik am US-Propagandakanal Radio Free Europe (RFE) geübt worden: »Solchen Institutionen, für die der Kalte Krieg längst zu einem Metier geworden ist, sollte auf deutschem Boden das Handwerk gelegt werden.«
Es ging um den Vorwurf, dass der von München aus nach Osten funkende Sender in seinem ungarischsprachigen Programm die Aufständischen zum bewaffneten Kampf aufgerufen habe. Zudem habe er den Ungarn weisgemacht, dass ihnen der Westen militärisch zu Hilfe kommen würde. Als dann der Umsturzversuch durch das Eingreifen sowjetischer Truppen gescheitert war, begann der Katzenjammer.
Weder Die Zeit noch die FDP zogen damals in Zweifel, dass es sich bei RFE um eine private Einrichtung handelte. »Es ist eine finanziell gut fundierte Organisation, die dem Weltkommunismus entgegenwirken will«, so die Wochenzeitung damals über die 1949 in den USA gegründete Organisation »Kreuzzug für die Freiheit«, der 26 Millionen US-Bürger angehört haben sollen. Doch Zweifel wurden schon damals laut. Für die DDR handelte es sich bei RFE um nichts anderes als die Zentrale einer »amerikanischen Agenten- und Spionageorganisation«. Um diese hätten sich »alle aus den volksdemokratischen Ländern geflüchteten Faschisten und Landesverräter gruppiert«, schrieb das SED-Zentralorgan Neues Deutschland am 8. Juli 1955.
RFE war 1951 gegründet worden und richtete sich an die sozialistischen Länder in Mittel- und Osteuropa. Zwei Jahre später kam Radio Liberty (RL) hinzu, dessen Zielgruppe Sowjetbürger waren. Die Zentrale beider Sender stand in der BRD. Aufgrund des Besatzungsstatuts hatten westdeutsche Behörden bei ihrer Einrichtung nichts zu melden gehabt. Erst 1955 erteilten sie die entsprechende Lizenz. In deutscher Sprache sendeten RFE und RL nicht, Propaganda für die »Sowjetzone« überließ man dem Westberliner US-Sender RIAS.
Erst Anfang der 1970er Jahre räumte Washington ein, dass RFE und RL von Anfang an vor allem durch den Auslandsgeheimdienst CIA finanziert worden waren. Private Spenden hatten nie mehr als einen Bruchteil der Einnahmen ausgemacht. Der US-Senat entzog der CIA daraufhin die Gelder für beide Sender. Von nun an kam das Geld direkt vom Kongress.
An der Einmischung in Osteuropa änderte das nichts. Als sich Anfang der 1980er Jahre die Krise in Polen zuspitzte, war RFE das Sprachrohr der antikommunistischen Opposition. Offenkundig leistete man auch technische Unterstützung beim Betrieb des Untergrundsenders Radio Solidarnosc. Jahre nach diesen Ereignissen bedankte sich der spätere Staatschef Lech Walesa, RFE sei »unser Informationsministerium« gewesen.
Auch nach dem Zusammenbruch des realen Sozialismus setzten RFE und RL ihren Betrieb ungebremst fort. Man siedelte von München nach Prag um und weitete den Betrieb noch aus. Heute verbreitet man Washingtons Sichtweise in 26 Sprachen für 22 Länder. Hinzu kommt eine ganze Reihe weiterer US-Propagandakanäle: Radio Free Afghanistan, Radio Free Iraq, Radio Farda mit Zielgebiet Iran, das gegen China, Nordkorea und Vietnam gerichtete Radio Free Asia sowie schließlich das antikubanische Radio Martí.
Erschienen am 20. Februar 2020 in der Tageszeitung junge Welt