Keine Lust auf billige Ausreden

Erinnert sich noch jemand an die Schulzeit? Damals versuchten Lehrerinnen und Lehrer  uns beizubringen, wie ein demokratischer Staat funktioniert. Demnach gibt es drei Säulen: Exekutive, Legislative und Judikative. In der Legislative, der gesetzgebenden Gewalt, also  den Parlamenten, entscheiden die gewählten Abgeordneten darüber, welche Regeln für  das Zusammenleben gelten sollen. Und die Regierung, die Exekutive oder ausführende  Gewalt, soll diese Beschlüsse umsetzen. So jedenfalls die Theorie.

Die Praxis des Bundesverkehrsministeriums unter Volker Wissing sah etwas anders aus.  Vor mehr als zwei Jahren, im November 2022, hat der Bundestag beschlossen, dass  Schleppern auf Bundeswasserstraßen – also zum Beispiel Elbe, Weser, Rhein – und auf den  seewärtigen Zufahrten von Häfen das Führen der Bundesflagge vorgeschrieben  werden soll. Die der Regierung dafür von den Abgeordneten ursprünglich gesetzte Frist ist  bereits im März 2023 abgelaufen. Doch das Gesetz gibt es bis heute nicht, obwohl die  Parlamentarier*innen ihren Beschluss mehrfach bestätigt haben.

Schlepper sind ein Rückgrat der maritimen Wirtschaft, ohne die kaum ein größeres Schiff sicher am Kai anlegen oder den Hafen wieder verlassen kann, sie sind entscheidend für sicheren und störungsfreien Schiffsverkehr. Doch nur wenn sie die Bundesflagge führen,  gelten an Bord die deutschen Gesetze und Vorschriften uneingeschränkt.

Den Schleppern das Führen von Schwarz-Rot-Gold vorzuschreiben, wäre deshalb ein wichtiger Baustein zur Stärkung der deutschen Handelsflotte und zur Sicherung des bedrohten maritimen Know-hows in der Bundesrepublik. Die meisten Schiffe deutscher Reedereien und Schiffseigner fahren längst unter ausländischen Flaggen, an Bord gelten deshalb Vorschriften und Arbeitsbedingungen, die von den jeweiligen
Flaggenstaaten festgelegt werden. So werden die hierzulande geltenden Standards unterlaufen. Deutsche Seeleute gibt es an Bord dieser Schiffe kaum noch – da ist es kein  Wunder, dass die Zahl deutscher Seeleute auch insgesamt immer weiter zurückgeht,  zuletzt auf noch rund 4.500.

Das ist ein Problem für die gesamte maritime Wirtschaft (und darüber hinaus), denn  einheimische Seeleute werden auch abseits der großen Handelsschiffe gebraucht.  Lotsendienste, Schlepper, Hafenbehörden, Sicherheitseinrichtungen, Verwaltung – wo soll die notwendige Kompetenz herkommen, wenn nicht durch erfahrene Seeleute, die wissen,  wovon sie reden und sich in einheimischen Gewässern auskennen?

In den vergangenen Jahren war von den zuständigen Ministerien viel von einer „Stärkung der deutschen Flagge“ zu hören. Die dazu ergriffenen Initiativen waren aber wenig überzeugend, denn sie blieben oft auf halbem Wege stecken oder bestanden darin, zu  Lasten der Seeleute die Kosten für Reeder abzusenken. Manche Politiker*innen glauben,  dass man Schiffseigner so verführen könnte, auf das Ausflaggen nach Liberia, Panama  oder Malta zu verzichten und Schwarz-Rot-Gold am Heck zu hissen. Tatsache aber ist: So billig wie die Billigflaggen kann und darf Deutschland nicht werden.

Warum aber wurde eine einfach umzusetzende Initiative wie die Flaggenvorschrift für  Schleppschiffe hintertrieben? Auf Nachfragen von Betriebsräten der Schlepperunternehmen  Boluda und Fairplay hieß es aus dem  Bundesverkehrsministerium, ein Gesetz sei unter anderem wegen Europarecht und wegen der Hoheit der Bundesländer  nicht umsetzbar. Das waren und sind billige Ausreden!

Die EU-Hafenverordnung sieht vor, dass Mitgliedsstaaten für den Bereich der  Hafendienstleistungen eine Flagge vorschreiben können. Mehrere Länder haben das getan,
unter anderem Spanien, Frankreich und Polen. Im Ergebnis werden dort im Wesentlichen Seeleute aus dem eigenen Land eingesetzt. Spanien hat in seiner Mitteilung an die EU-Kommission unter anderem argumentiert, dass man auf diese Weise die Einhaltung der geltenden Tarifverträge sicherstellen will. Und was die Länderhoheit angeht:  Bundeswasserstraßen sind auch in Hamburg, Bremen und den anderen Ländern  Bundeswasserstraßen, lediglich ihre Verwaltung wurde im Bereich der jeweiligen Häfen auf die Länder übertragen.

Auch deshalb muss die Flaggenvorschrift für die Schlepper schnellstmöglich – und zwar noch vor der Bundestagswahl – als Bundesgesetz und auch in Landesrecht (Hafenverordnungen) umgesetzt werden, um klare Regeln und Standards für alle zu  schaffen. Die Bundesregierung sollte sich trauen, das Gesetz trotz fehlender eigener  Mehrheit ins Parlament einzubringen. Schauen wir doch mal, wer dann für die deutsche Flagge stimmt und wer dagegen.

Erschienen im Dezember 2024 in der „Waterfront“ Nr. 2/2024