Mit ersten Kundgebungen und Aktionen vor den regionalen Arbeitgeberverbänden und Streiks beim Online-Giganten Amazon haben Ende April und Anfang Mai die Tarifverhandlungen im Handel begonnen. Die Gewerkschaft ver.di fordert 4,5 Prozent plus 45,- Euro mehr Lohn für die Kolleginnen und Kollegen im Einzel- und Versandhandel, kein Stundenlohn soll künftig unter 12,50 Euro liegen dürfen. Und die Unternehmer werden aufgefordert, gemeinsam mit ver.di die Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge zu beantragen.
Durch eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung (AVE) würden die ausgehandelten Tarifverträge für alle Unternehmen einer Branche gelten – auch in solchen Betrieben, die nicht tarifgebunden sind (und auch für Beschäftigte, die nicht der Gewerkschaft angehören). Die entsprechende Erklärung kann das zuständige Arbeitsministerium abgeben – aber nur, wenn die AVE von beiden Tarifparteien gemeinsam beantragt wird. Die Arbeitgeberverbände verweigern das. ver.di verlangt deshalb eine Gesetzesänderung, damit künftig auch die Gewerkschaft alleine die AVE beantragen kann.
Mit ihrer Verweigerungshaltung heizen der Handelsverband Deutschland (HDE) und der Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA) den seit Jahren laufenden Verdrängungs- und Vernichtungswettbewerb in der Branche weiter an. Nur noch weniger als ein Drittel der Beschäftigten genießt den Schutz eines Tarifvertrags – und diese Tarifflucht wird von den Arbeitgeberverbänden befördert. Sie erlauben den Unternehmern eine Mitgliedschaft „ohne Tarifbindung“ (oT). Durch diese kommen die Konzerne in den Genuss aller Vorteile einer Mitgliedschaft im Verband, ohne aber die in Tarifverträgen akzeptierten Arbeitsbedingungen und Entlohnung zu akzeptieren.
Ein solches „oT-Mitglied“ des HDE ist Amazon. Der Konzern, der zu den großen Gewinnern der Pandemie gehört, weigert sich nach wie vor, mit der Gewerkschaft über einen Tarifvertrag zu verhandeln. Stattdessen versucht man, die Arbeitsbedingungen und Einkommen nach Gutsherrenmanier zu diktieren. Dagegen wehren sich die Beschäftigten immer wieder mit Streiks, oft genug müssen die Auseinandersetzungen aber auch vor Gericht geführt werden.
Ende Januar entschied das Bundesverwaltungsgericht nach einer Klage von ver.di, dass das Verbot von Sonntagsarbeit auch für Amazon gilt. Der Konzern hatte 2015 bei den zuständigen Behörden eine Ausnahmegenehmigung für den Einsatz von jeweils 800 Beschäftigten an zwei Adventssonntagen im Logistikzentrum Rheinberg beantragt. Amazon behauptete, dass ohne Sonntagsarbeit „unverhältnismäßiger Schaden“ entstehe, weil die Lieferversprechen an die Kundinnen und Kunden nicht eingehalten werden könnten. „Selbst schuld“, so die Richter – niemand zwinge Amazon dazu, die Lieferung am nächsten Tag zu versprechen.
Die Handelsunternehmen hindert das nicht daran, immer wieder die Öffnung von Geschäften an Sonn- und Feiertagen zu fordern. Gerne wird dabei auf Amazon verwiesen, wo man ja auch am Sonntag bestellen könne.
Spätestens seit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts sollte jedoch klar sein, dass diese Behauptung nicht zieht. Auch bei Amazon ruhen die Bänder am Sonntag, Bestellungen werden frühestens in der Nacht zum Montag bearbeitet. Wenn sich aber die Lobbyisten von HDE und BGA durchsetzen würden, wäre auch das Verbot der Sonntagsarbeit bei Amazon kaum zu halten, die Dominanz des Onlinehandels würde noch weiter zunehmen. Es ist absehbar: Auf der Strecke blieben dann gerade die kleinen Einzelhändler, die von den Arbeitgeberverbänden so gerne vorgeschoben werden.
Deshalb haben die laufenden Tarifrunden im Einzel- und Versandhandel sowie im Groß- und Außenhandel auch für den freien Sonntag eine besondere Bedeutung. Es geht darum, die Ausbeutung der Beschäftigten zumindest einzuschränken. Durch allgemeinverbindliche Tarifverträge können wir auch Amazon Lohndumping beenden und faire Arbeitsbedingungen durchsetzen. Auch am Sonntag.
Erschienen am 4. Mai 2021 auf der Homepage der Allianz für den freien Sonntag