junge Welt, 22. März 2023

»Trotz Gestapo!«

Serie Klassenkampf im Äther – 100 Jahre Rundfunk in Deutschland. Teil 3.1: Im Kampf gegen den Faschismus

Eine »Machtergreifung« der Nazis im Rundfunk war 1933 nicht notwendig. Auch wenn die Übernahme der Regierungsgewalt durch Hitler im Radio mit einer pathetischen Übertragung des Fackelmarsches der SA am 30. Januar zelebriert wurde und die neuen Machthaber sofort darangingen, Führungsposten mit treuen Gefolgsleuten zu besetzen – der Boden für die faschistische Gleichschaltung war schon Monate zuvor bereitet worden.

Die Weimarer Republik hatte schon seit den ersten Rundfunksendungen peinlich genau darauf geachtet, den Einfluss des Staates auf das junge Medium zu bewahren. Kontrollausschüsse, in denen Vertreter von Reich und Ländern vertreten waren, wirkten als staatliche Zensurinstanzen. Unter Reichskanzler Franz von Papen wurde die Unabhängigkeit der Sender dann komplett beseitigt. Nur zwei Wochen nach seiner Ernennung durch Reichspräsident Paul von Hindenburg wurden alle deutschen Rundfunksender per Erlass vom 11. Juni 1932 verpflichtet, eine »Stunde der Reichsregierung« auszustrahlen, in der ohne redaktionelle Mitbestimmung politische Verlautbarungen verbreitet werden konnten.¹

Nazirundfunkdiktator

Als nächster Schritt wurde dann im August 1932 mit Erich Scholz erstmals ein NSDAP-Mitglied zum neuen Rundfunkkommissar des Reichsinnenministeriums ernannt. Über mehrere Tage vermied das Ministerium eine offizielle Bestätigung der Personalie, was die SPD-Zeitung Vorwärts süffisant kommentierte: »Man wird nicht fehlgehen, wenn man annimmt, dass schon aus den Besprechungen der Reichsregierung mit den Nationalsozialisten über eine Tolerierung des Kabinetts Herr Scholz als Rundfunkdiktator hervorgegangen ist. Seine amtliche Ernennung zum Reichsrundfunkkommissar wäre wohl auch längst bekanntgegeben, wenn nicht der offizielle Übertritt des ehemaligen Volksparteilers, dann Deutschnationalen Erich Scholz zu den Nationalsozialisten der Freiherrenregierung ungelegen gekommen wäre, weil er allzu deutlich in die Untergründe dieses Rundfunkkuhhandels hineinblicken lässt.«² Tatsächlich war Ministerialrat Scholz erst wenige Tage zuvor von der DNVP zu den Nazis übergetreten.

Die Rote Fahne, das Organ der KPD, warnte am 13. August 1932 vor dem »Faschismus im Äther« und kommentierte »die ersten Taten des Nazirundfunkdiktators«. Dieser habe das Medium zu einem »der wichtigsten Propagandainstrumente des Faschismus« gemacht: »Noch nie ist der Rundfunk trotz aller entsprechenden demokratischen Kulissen arbeiterfreundlich gewesen, aber erst unter der jetzigen Junkerregierung wurde ganz offiziell der Ausnahmezustand gegen die Kommunistische Partei im Rundfunk erklärt – wurde die revolutionäre Arbeiterschaft vollkommen vom Rundfunk ausgeschlossen und den Nazibanditen das Mikrophon schrankenlos zur Verfügung gestellt.«³

Unter Scholz’ Führung wurden die schon seit mehreren Jahren vorbereiteten Pläne für eine »Neuordnung des Rundfunks« in die Tat umgesetzt. Mit ihrem Inkrafttreten am 18. November 1932 wurde die direkte Verstaatlichung des Mediums besiegelt. Alle regionalen Rundfunkgesellschaften wurden in der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft (RRG) zusammengefasst, deren Anteile zu 51 Prozent bei der Reichspost und zu 49 Prozent bei den Ländern lagen.⁴ Die Kontrolle über das Medium übten zwei Rundfunkkommissare aus: Hans Bredow war als Vertreter des Postministeriums für Organisation, Wirtschaft und Technik zuständig, während Scholz selbst im Auftrag des Innenministeriums das Programm kontrollierte. Ein öffentlicher Protest Bredows gegen das Vorgehen Scholz’ ist nicht bekannt – auch nicht, als dieser begann, Rundfunkmitarbeiter aus politischen oder rassistischen Gründen zu entlassen. Die Satirezeitschrift Simplicissimus veröffentlichte damals eine Karikatur, auf der Scholz die Worte in den Mund gelegt wurden: »Meine Herren, sorgen Sie dafür, dass ab morgen statt der Hertzschen Wellen rein arische Wellen verwendet werden. Ich habe erfahren, dass Hertz einen jüdischen Vater hatte!«⁵

So fiel den Nazis die volle Kontrolle über den Rundfunk direkt am Tag der Machtübertragung an Hitler in den Schoß. Auch wenn sich der Chef des von den Nazis kontrollierten Reichsverbandes Deutscher Rundfunkteilnehmer, Eugen Hadamovsky, später eine Legende bastelte, nach der er am 30. Januar 1933 mit einer »Garde der ältesten Kämpfer« die Studios besetzt habe, steckte hinter der unterwürfigen Liveübertragung des von den Nazis an jenem Tag organisierten Fackelmarsches ein normaler bürokratischer Vorgang. Sie wurde beim politischen Überwachungsausschuss beantragt und genehmigt, Personal und Ausrüstung für die Reportage wurden regulär dienstlich gestellt.⁶

Der Widerstand gegen den Faschismus kam auch im Rundfunk meist von außen. So gelang es am 15. Februar 1933 vier jungen Kommunisten, die Übertragung einer Rede Hitlers in der Stuttgarter Stadthalle zu sabotieren. Während zwei von ihnen – Wilhelm Bräuninger und Eduard Weinzierl – das Wachpersonal ablenkten, kletterte Alfred Däuble auf die Schulter seines Freundes Hermann Medinger und durchtrennte mit einer Axt das in vier Metern Höhe angebrachte Übertragungskabel. Die vier Männer konnten zunächst unerkannt entkommen, wurden aber ein Jahr später infolge einer Denunziation verhaftet und zu Haftstrafen von bis zu zwei Jahren verurteilt.⁷

Unter Verdacht, in die Sabotageaktion verwickelt zu sein, geriet zunächst auch der Leiter der technischen Abteilung der Süddeutschen Rundfunk AG, Rudolf Formis. Möglicherweise deshalb versuchte er eilig, seine Treue zum neuen Regime zu beweisen. Am 7. März 1933 – zwei Tage nach der Reichstagswahl – beteiligte er sich in SA-Uniform an der Besetzung des Funkhauses in Stuttgart und begrüßte in einer Rede die Übernahme der Kontrolle über den Sender durch die Faschisten. Den neuen Machthabern erschien sein Auftritt in Uniform und mit umgeschnallter Pistole aber suspekt. Nachdem auch noch bekannt wurde, dass Formis jüdische Vorfahren hatte, wurde er einige Tage inhaftiert. Nach seiner Freilassung floh er aus Deutschland und lernte in Prag Otto Strasser kennen. Dieser hatte bis 1930 an führender Stelle der NSDAP angehört, die Partei aber nach einem Richtungsstreit mit Hitler und Goebbels verlassen und eine eigene Partei, die »Schwarze Front«, gegründet. Nach deren Verbot am 15. Februar 1933 emigrierte Strasser zunächst nach Wien und anschließend nach Prag.

Anschlag in der CSR

Formis schloss sich der illegal gewordenen »Schwarzen Front« an und übernahm den Vertrieb der von Strasser herausgegebenen Zeitung Die deutsche Revolution. Wahrscheinlich ab September 1934 betrieben Formis und Strasser zusammen von Prag aus einen illegalen Rundfunksender, der sich als Landschaftssender Berlin der Schwarzen Front meldete und vorgab, in der deutschen Hauptstadt zu stehen. Tatsächlich war der selbstgebaute Sender im Dachgeschoss des Hotels »Zahori« im gut 30 Kilometer von Prag entfernten Slapy nad Vltavou versteckt. Dort bereitete Formis im Alleingang die täglichen Sendungen vor, zu denen Strasser den Kommentar beisteuerte. Teilweise wurden Strassers Beiträge offenbar auch in der tschechoslowakischen Hauptstadt auf Schallplatte gesprochen, die Formis dann mehrfach abspielen konnte.⁸

Die Nazis erkannten schnell, dass der Schwarzsender nicht in Berlin, sondern in der Tschechoslowakei stand. Zudem konnte Formis anhand seines starken schwäbischen Dialekts identifiziert werden. Nachdem diplomatische Interventionen bei den Prager Behörden erfolglos geblieben waren, schickte Gestapo-Chef Reinhard Heydrich drei Agenten, um den Sender zum Schweigen zu bringen. Alfred Naujocks, Werner Göttsch und Edith Kersbach reisten als Touristen getarnt in das Nachbarland. Angeblich lautete ihr Auftrag, Formis zu entführen und ihn lebend nach Berlin zu bringen, während der Sender zerstört werden sollte. Was jedoch am 23. Januar 1935 in Formis’ Hotelzimmer genau geschah, ist nie vollständig aufgeklärt worden. Offenbar drangen Naujocks und Göttsch damals in das Zimmer ein, und übergossen ein dort stehendes Gerät, das sie für den Sender hielten, mit Säure. Dabei wurden sie von Formis überrascht, es kam zu einem Handgemenge, Schüsse fielen, Formis wurde tödlich getroffen. Die Attentäter entkamen nach Deutschland, wurden von Heyd­rich belobigt und mit Urlaub belohnt.⁹ Das Gerät, das sie zerstört hatten, war allerdings nicht der Sender gewesen, sondern ein Empfangsgerät. Der Sendeapparat ist heute im Besitz des Technischen Nationalmuseums in Prag. Formis’ Mörder wurden für ihre Tat nie belangt. 1966 übermittelte das tschechoslowakische Justizministerium den westdeutschen Behörden einen ausführlichen Strafantrag wegen Mordes gegen Naujocks, der unbehelligt in Hamburg lebte.¹⁰ Zu einer Verurteilung kam es jedoch nicht, der Naziagent starb am 4. April 1966.

Mit dem Mord hatten die Nazis ihr Ziel erreicht, der Schwarzsender schwieg. Strasser selbst versuchte später nur noch von Südamerika aus, seine Positionen über den Rundfunk zu verbreiten. Dort betrieben Gefolgsleute seit 1935 in Uruguay einen nach Europa gerichteten Kurzwellensender Pampero und einen für deutschsprachige Hörer in Südamerika bestimmten Langwellensender Lasso. Die Wirkung blieb aber gering. Das Reichsluftfahrtministerium stellte fest, dass die dreimal wöchentlich ausgestrahlten Sendungen »zu schwach und amateurhaft« seien, um in Deutschland gehört werden zu können.¹¹

Für Antifaschisten in Deutschland waren die Sendungen der »Schwarzen Front«, sofern sie davon überhaupt wussten, nur von geringem Nutzen – weil Strasser und seine Leute zwar Nazigegner, aber eben keine Antifaschisten waren. Für Anhänger der in die Illegalität getriebenen KPD oder anderer linker Bewegungen lag es näher, die Sendungen von Radio Moskau zu hören, das seit 1929 Programme in deutscher Sprache verbreitete. So nutzte am 26. August 1934 eine Gruppe der Roten Studenten, die im Untergrund Widerstand leistete, die Große Deutsche Funkausstellung in Berlin, um mit einer spektakulären Aktion auf den »Feindsender« hinzuweisen. Auf einem blumengeschmückten Balkon oberhalb der Ausstellungshalle versteckten sie einen zeitgesteuerten Sprengsatz, der mit Hunderten Sternen aus Seidenpapier gefüllt war, auf denen der Slogan »Achtung! Rotfunk und Rote Studenten schalten um auf Moskau« stand. Gegen 17.30 Uhr explodierte die Blechbüchse und die Flugblätter verteilten sich über die dichtgedrängte Besuchermenge. Trotz intensiver Fahndung konnte die Gestapo die Urheber nicht dingfest machen.¹²

Doch schon das Einschalten des Moskauer Rundfunks war gefährlich, obwohl das Abhören ausländischer Sender von den Nazis erst unmittelbar nach dem Überfall auf Polen 1939 offiziell verboten wurde. Schon kurz nach der Machtübernahme wurde das kollektive Abhören kommunistischer Rundfunkstationen als »Vorbereitung zum Hochverrat« unter Strafe gestellt. In einem internen Rundschreiben des Postministeriums hieß es unter Berufung auf ein Urteil des Volksgerichtshofs: »Ob auch das Anhören des Moskauer Senders unter den Tatbestand der Vorbereitung zum Hochverrat fällt, ist vor allem Frage der inneren Tatseite. Der Vorsatz des Hörers muss hierbei irgendwie darauf gerichtet sein, die Ziele der KPD zu fördern. (…) Eine Förderung der Ziele der KPD liegt an sich aber auch schon dann vor, wenn sich der Hörer des Moskauer Senders auf diese Weise nur selbst in seiner kommunistischen Gesinnung festigen, seine Kenntnis der Umsturztaktik der KPD erweitern und damit ihre revolutionäre Stoßkraft stärken will.«¹³

Was anderes hören

Trotzdem fanden die Sendungen aus Moskau ihre Hörer, wie auch die von der Exilführung der SPD herausgegebenen »Deutschland-Berichte« wiederholt feststellten. So hieß es am 10. Januar 1935 in einem Report aus Niederschlesien: »In einem Fall wollte sich unser Vertrauensmann verabschieden, da sagt der Gutsbesitzer: ›Bleiben Sie noch, in einer halben Stunde kommt der Moskauer Sender‹. Unser Freund ist erstaunt und versichert, dass er Moskau noch nie gehört habe. Darauf der Gutsherr: ›Gott, man will doch auch mal was anderes hören.‹ Auf Nachfrage ergänzt er, dass er mit dieser Methode keine unrühmliche Ausnahme unter seinen Kollegen sei.«¹⁴ Am 19. August 1935 informierten die »Deutschland-Berichte« über den Werkmeister einer westpreußischen Schuhfabrik, der fristlos entlassen worden sei, weil er den Moskauer Sender gehört habe. »Seine Klage wurde vom Arbeitsgericht Marienwerder als unbegründet abgewiesen, da ›schon das planmäßige Abhören derartiger Sendungen das Vertrauensverhältnis zwischen dem Gefolgschaftsmitglied und dem Führer des Betriebes so erschüttert, dass diesem die Weiterbeschäftigung nicht zugemutet werden kann.‹«¹⁵ Und 1936 notiert ein Berichterstatter frustriert aus Nordwestdeutschland: »Da und dort auch im Bürgertum vereinzelter passiver Widerstand, aber keine Spur einer einheitlichen Linie, keinerlei aktiver Wille. Man wartet auf die Arbeiterschaft und sieht trotz der Wünsche, das jetzige System vernichtend zu treffen, diesen Aktionen der Arbeiterschaft mit wenig Freude entgegen. Diese zwiespältige Haltung hat ihre Ursache darin, dass sich sowohl die Propaganda des Systems wie die einzige von außen bemerkbare Gegenpropaganda in der Alternative treffen: Faschismus oder Bolschewismus. Gerade das Bürgertum, das meist bessere als Volksempfänger-Radioapparate besitzt, hört sehr eifrig Moskau und ist bereit, aus der alltäglichen eigenen Erfahrung heraus alles zu glauben, was von dort mitgeteilt wird. (…) Immer wieder wird gegen die westeuropäischen Demokratien der Vorwurf erhoben, warum sie das Land ausschließlich der faschistischen und bolschewistischen Propaganda überlassen.«¹⁶

Die »westeuropäischen Demokratien« hielten sich zumindest bis Kriegsbeginn tatsächlich weitgehend zurück, wenn es darum ging, über den Rundfunk auf die deutsche Bevölkerung einzuwirken. Die BBC London, die später zur wichtigsten ausländischen Informationsquelle aufsteigen sollte, nahm erst im September 1938 deutschsprachige Sendungen auf. Einen gewissen Einfluss zumindest im Südwesten hatten Radio Strasbourg aus Frankreich, das bereits seit 1930 deutschsprachige Programme verbreitete, die sich offiziell nur an die Bevölkerung in Elsass-Lothringen richteten, sowie die von Paris aus arbeitende Radiodiffusion Française. In den Sendungen aus der französischen Hauptstadt kamen ab 1936 auch Emigranten zu Wort, für die – als Reaktion auf die französische Niederlage bei der Saarabstimmung 1935 – eine spezielle Redaktion eingerichtet wurde, die Einfluss auf die deutsche Bevölkerung nehmen sollte. In Deutschland wurden die Sendungen viel gehört, allerdings führten schwerwiegende politische Fehleinschätzungen, falsche Informationen über die tatsächlichen Verhältnisse in Nazideutschland sowie die permanente Beschönigung der französischen Positionen nach Ansicht des Rundfunkhistorikers Conrad Pütter zu einem »publizistischen Debakel«, das letztlich der Glaubwürdigkeit der französischen Sender erheblich geschadet habe.¹⁷

Auch die deutschsprachigen Rundfunksender aus der Tschechoslowakei fanden Hörer im »Reich«, vor allem in Sachsen. Die Tschechoslowakei hatte erst 1936 mit der Verbreitung von Auslandssendungen begonnen, zuvor waren fremdsprachige Sendungen nur gelegentlich im Rahmen der Inlandsprogramme verbreitet worden. In den ersten Jahren bestanden die Sendungen überwiegend aus Musik, die von Ansagen und Nachrichten in mehreren Sprachen unterbrochen wurden. Auch nach einer Ausweitung der Sendezeiten im ersten Halbjahr 1938 auf neun Stunden täglich machte Musik rund drei Viertel des Inhalts aus. Die Programme für Europa begannen stets mit Nachrichten in tschechischer Sprache, gefolgt von einem halbstündigen Musikprogramm, dann deutschen Nachrichten, einer »Vorlesung« in Englisch, Deutsch oder Französisch sowie, nach einer erneuten halbstündigen Musikunterbrechung, Nachrichten in französischer und englischer Sprache.¹⁸ Nach Einschätzung der Exil-SPD fand besonders das Programm des erst 1938 gestarteten Senders Melnik Hörer in Deutschland: »Für die Aufklärung über die wahre Lage in der Tschechoslowakei kommt dem neu errichteten Sender Melnik bei Prag eine besondere Bedeutung zu. (…) Er wird von den Arbeitern verhältnismäßig viel gehört. Dieser Sender hat den Vorteil, dass er gut zu hören ist, täglich dreimal Nachrichten durchgibt und nicht gestört wird. Die Arbeiter sagen: ›Wenn wir von der Arbeit heimkommen, sind wir derartig müde, dass wir kaum in der Lage sind, zu warten, bis der Sender Strassburg deutsche Nachrichten bringt oder die Moskauer Sendungen kommen, die ja immer stark gestört werden.‹ (…) Man wünscht noch mehr aufklärende Vorträge und eine entschiedenere Stellungnahme gegen die lügenhaften Meldungen der Goebbelschen Propaganda.«¹⁹

Nur schwer in Deutschland zu empfangen waren dagegen die Rundfunksender der spanischen Regierung und der diversen republikanischen Organisationen. Mit Beginn des Bürgerkriegs und der Intervention durch die deutschen Faschisten verbreiteten der offizielle Auslandssender La Voz de España Republicana (Die Stimme des republikanischen Spaniens) aus Madrid – dessen Auslandssendungen von Kurt Hager geleitet wurden –, der Sender der katalanischen Regionalregierung Generalitat aus Barcelona sowie die Sender der verschiedenen Linksparteien auch Sendungen in deutscher Sprache. Oft standen deutsche Interbrigadisten an den Mikrofonen, die über ihren Kampf sprachen. Zu hören waren sie aufgrund der schwachen Leistung und der massiven Störungen durch deutsche Sender im Zielgebiet allerdings kaum. Die Programme richteten sich deshalb letztlich oft eher an die eigenen Genossen in den Internationalen Brigaden und an die faschistischen Söldner der »Legion Condor«. So kommt denn auch Dimitri Agüero in einer ausführlichen Studie über die Rolle des Rundfunks im Spanischen Bürgerkrieg hinsichtlich der Auslandssendungen zu dem ernüchternden Schluss: »Die Wirkung der Radiosendungen auf die ausländische öffentliche Meinung war begrenzt. Die Sendungen waren kurz und hatten nicht die notwendige Stärke, um einen Effekt zu erzielen, der den Verlauf der Geschichte hätte ändern können.«²⁰

Stimme der KPD

All diese ausländischen Sender hatten für die Hörer in Deutschland ohnehin den Nachteil, dass sie klar erkennbar die Stimmen fremder Regierungen waren. Deshalb weckte das Auftauchen eines von Deutschen betriebenen und (den Mutmaßungen nach) in Deutschland stehenden antifaschistischen Senders besondere Begeisterung.

Ab dem 10. Januar 1937 war auf der Kurzwelle 29,8 Meter (10.060 kHz) – und damit direkt neben der Frequenz des Berliner Deutschlandsenders ein neuer Sender zu empfangen, der offenkundig nicht unter Kontrolle der Nazis stand. Die Sendungen begannen mit den ersten Takten der »Internationale«, dann folgte die Ansage: »Achtung, Achtung! Hier spricht der antifaschistische Sender, die Stimme der Kommunistischen Partei Deutschlands! Trotz Gestapo!«²¹

Gut einen Monat später berichtete die in Paris erscheinende Deutsche Volks-Zeitung erstmals: »Aus allen Teilen des Reiches kommen seit geraumer Zeit Nachrichten, dass eine kommunistische Radiostation jeden Tag zwischen 22 Uhr und 23 Uhr sendet. Gestern konnte ich mich selbst davon überzeugen. Unter anderem wurde ein Aufruf von Heinrich Mann an die deutschen Mütter durchgegeben und ein Appell an die Jugend, sich nicht für den blutigen Franco nach Spanien anwerben zu lassen. Der Ansager kündigte an, dass er am folgenden Tag wieder Punkt 22 Uhr senden würde. Zum Schluss wurde die Internationale auf Schallplatte gespielt. (…) Bemerkenswert ist, dass die Gestapo bisher sich noch nicht zu diesem Geheimsender geäußert hat, trotzdem er unter der arbeitenden Bevölkerung bereits Stadtgespräch ist.«²²

Die Wirkung sei »wahrhaft sensationell« gewesen, notierten auch die »Deutschland-Berichte« der Exil-SPD in ihrer Ausgabe vom 8. Mai 1937. »Was der Sender sagt, ist dabei gar nicht so sehr wichtig, sondern viel wichtiger ist die Tatsache seines Auftretens überhaupt. (…) Dazu wird herumgeraten, wo der Sender stehen mag. Die meisten vermuten ihn tatsächlich in Deutschland und freuen sich, dass ›sie ihn immer noch nicht haben‹.« Der Sender habe »die Nazis in helle Aufregung versetzt«. Sie hätten alle Einrichtungen der Telefunken »geradezu verrückt gemacht«, damit sie den Kurzwellensender endlich anpeilen können. In einem Bericht aus Bayern heißt es in derselben Ausgabe: »Ich arbeite in einem großen (…) Verarbeitungsbetrieb. Ende März gab es unter der ganzen Belegschaft keinen Menschen mehr, der nicht von der Existenz dieses Senders wusste. Eines Tages stand sogar im Pissoir mit Bleistift an die Mauer geschrieben: ›Hört jeden Tag um 10 die Welle 29,8.‹«²³

Bemängelt wurde von den Sozialdemokraten allerdings die politische Ausrichtung: »Es ist ein Unglück, dass der Sender als KPD-Sender auftritt. Warum nicht Sender der Volksfront, an dem sich auch die SPD beteiligen kann? Versucht doch unbedingt, dass ein illegaler Volkssender daraus wird, er hätte viel mehr Wirkung.«²⁴

Anmerkungen:

1 Florian Huber: Re-education durch Rundfunk. Die Umerziehungspolitik der britischen Besatzungsmacht am Beispiel des NWDR 1945–1948; in: Nordwestdeutsche Hefte zur Rundfunkgeschichte (2006), Sonderheft, S. 14

Der Abend. Spätausgabe des Vorwärts, 9.8.1932

Die Rote Fahne, 13.8.1932

4 Vgl. Winfried B. Lerg: Vom Kulturinstrument zum Führungsmittel – Rundfunkkontrolle in Deutschland bis 1945, Zweiter Teil; in: Studienkreis Rundfunk und Geschichte – Mitteilungen (1981), Nr. 3, S. 161 f.

Simplicissimus, 25/1932, S. 299

6 Peter Dahl: Arbeitersender und Volksempfänger. Proletarische Radio-Bewegung und bürgerlicher Rundfunk bis 1945, Frankfurt/M. 1978, S. 104

Uwe Bogen: Wie vier junge Männer eine Hitler-Rede sabotiert haben, Stuttgarter Nachrichten, 14.2.2023

8 Conrad Pütter: Rundfunk gegen das »Dritte Reich«. Ein Handbuch, München 1986, S. 35 ff.

Andreas Morgenstern: »Hier ruft die Schwarze Front!« Der Weg des Rundfunkpioniers Rudolf Formis; in: Rundfunk und Geschichte (2016), Nr. 3/4, S. 20

10 Frantisek Hrdlicka: Im Schatten der Nazis: Der Sender Schwarze Front; in: Beiträge zur Geschichte des Rundfunks (1980), Nr. 2/3, S. 36

11 Karl Kohut; Patrik von zur Mühlen (Hg.): Alternative Lateinamerika. Das deutsche Exil in der Zeit des Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 1994, S. 184 f.

12 Horst Taleikis: Aktion Funkausstellung, Berlin/DDR 1988, S. 91 ff.

13 Zit. n. Wladimir Ostrogorski: 40 Jahre des deutschsprachigen Auslandsdienstes des Moskauer Rundfunks; in: Beiträge zur Geschichte des Rundfunks (1969), Nr. 4, S. 30

14 Deutschland-Berichte der Sopade, 10.1.1935, S. 17

15 Ebd., 19.8.1935, S. 85

16 Ebd., 10.11.1936, S. 11

17 Pütter (Anm. 8), S. 55 ff.

18 Radio Prague International: Die Geschichte von Radio Prag

19 Deutschland-Berichte der Sopade, 30.7.1938, S. 16

20 Dimitri Agüero: La Radio en la Guerra Civil Española; in: Crisol (2007), Nr. 11, S. 183

21 Hans Maaßen: »29,8« in aller Munde; in: Erinnerungen sozialistischer Rundfunkpioniere, Berlin/DDR 1975, S. 191

22 Deutsche Volks-Zeitung, 14.2.1937, S. 8

23 Deutschland-Berichte der Sopade, 8.5.1937, S. 36 ff.

24 Ebd., S. 37

Erschienen am 22. März 2023 in der Tageszeitung junge Welt